Samstag, 17. November 2012

straflos 8, Gefängnis und Arbeit

Gefängnis und Arbeit

1. Entwicklung der Knastarbeit

Parallel zum Abbau der sozialen Sicherungssysteme wird seit Mitte der 1990er Jahre das Gefängniswesen massiv ausgebaut. Die Kriminalisierung des Elends ist das Gegenstück zu Prekarisierung und restriktiver Sozialpolitik. Trotz sinkender Kriminalität ist die Belegung deutscher Justizvollzugsanstalten (JVA) mit durchschnittlich 41.000 Strafgefangenen im Jahr 1993 auf rund 61.000 Inhaftierte im Jahr 2003 angewachsen. Die Inhaftierungsquote ist damit in einem Zeitraum von nur zehn Jahren um fast 50 Prozent gesteigert worden. Neben der Zunahme von „Ersatzfreiheitsstrafen“ infolge nicht gezahlter Geldstrafen dokumentieren die Strafverfolgungsstatistiken der Ländereine deutliche Tendenz der Gerichte, mehr und höhere Haftstrafen zu verhängen. In Rheinland-Pfalz etwa sind 20 Prozent mehr Freiheitsstrafen verhängt worden, längere Haftstrafen von über einem Jahr nahmen sogar um über 55 Prozent zu.

Eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten belegt einen engen Zusammenhang zwischen verschlechterten Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und ansteigenden Inhaftierungen. Von den Gerichten werden Arbeitslosigkeit und Prekarität im Einzelfall streng beurteilt, so dass sich auch bei gleichartigen Delikten eine deutlich stärkere Bereitschaft zur Verhängung von (höheren) Haftstrafen feststellen lässt. „Mangelhafte berufliche Einbindung“ verlängert zudem die effektive Haftzeit, da die Wahrscheinlichkeit einer Strafaussetzung oder vorzeitigen Entlassung deutlich verringert ist. Dies ist eine in der bürgerlichen Rechtsprechung klar angelegte Tendenz, überzählige Arbeitskraftreserven in Knästen zwischenzulagern. Seit Mitte der 1990er Jahre und insbesondere seit der Jahrtausendwende, wird die drastische Zunahme der Knastbevölkerung durch den Aus- und Neubau von Gefängnissen begleitet. Parallel hierzu werden in vielen Haftanstalten elektronisch gesicherte Zäune und modernste Sicherheitszentralen errichtet, um den Personaleinsatz effizienter zu gestalten und die Kosten zu senken. Zunehmende Bedeutung erlangt bei diesen Einsparungsmaßnahmen auch die Ausbeutung der Arbeitskraft von Gefangenen.
Die gesetzlich festgelegten Stundenlöhne bewegen sich zwischen 1,02 Euro und 1,69 Euro, bei 39,75 Wochenstunden. Vollständig ausgezahlt wird das Geld nicht. Das meiste spart die Anstalt – wie gesetzlich vorgeschrieben – für den Tag der Entlassung.

Obwohl es in jeder Anstalt Betriebe gibt, produzieren nur einige direkt für zahlende Kund*innen. Ansonsten arbeiten die Gefangenen hauptsächlich für Unternehmen und die öffentliche Hand. Der Gewinn kommt der Landeskasse zugute, bei Produkten aus „arbeitstherapeutischen Maßnahmen“ geht das Geld vollständig an die Anstalten.
Bei dem, was die Inhaftierten teilweise machen müssen, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass man dabei weniger abstumpft. In der JVA Tegel bspw. kratzen Häftlinge Stanniolpapierreste von großen Rollen. Eine weitere Auswahl „einfacher Arbeiten“ aus deutschen Gefängnissen: Kordeln durch Einkaufstüten ziehen (für Douglas), Bügelbrettbezüge verpacken (für Tchibo), Grußkarten sortieren.

Die Einnahmen der Arbeitsverwaltung des bayerischen Justizvollzugs wurden von etwas mehr als 36 Millionen Euro im Jahre 1993 auf zuletzt mehr als 43 Millionen Euro erhöht. Da aber zum Beispiel in der größten bayerischen JVA in München-Stadelheim von aktuell 1.700 Gefangenen gerade einmal 170 zur Arbeit herangezogen werden, sind die Kapazitäten bei weitem nicht ausgeschöpft.

2. Privatisierung der Strafvollzugsanstalten

In Abschiebegefängnissen sind private Sicherheitsfirmen bereits seit den 1990er Jahren tätig. Durch teilweise Privatisierungen von Planung, Errichtung und Betrieb der Anstalten werden sich so größere Kapitaleinsparungen erhofft. Die neuen teilprivatisierten Gefängnisse sind keine Billigknäste. Daran haben die Unternehmen, die hier bestimmte Aufgaben übernehmen, auch kein Interesse: Sie müssen schließlich eine skeptische Öffentlichkeit überzeugen.
Im Sommer 1999 hat das Hessische Justizministerium eine Arbeitsgruppe „Modellprojekte zur Privatisierung im Strafvollzug“ aus Politiker*innen, Fachleuten und Jurist*innen eingesetzt, um „die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen“ zu prüfen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Der Abschlussbericht vom Dezember 1999 kam zu dem Ergebnis, dass eine Vollprivatisierung des Strafvollzuges gesetzlich nicht möglich sei, jedoch privat errichtete Gefängnisbauten durch den Staat gemietet und private Wachleute ohne Eingriffsbefugnisse gegenüber Gefangenen eingesetzt werden könnten. Das hierbei entwickelte Modell trägt den Namen „Public Private Partnership“. Die Baukosten belaufen sich mit diesem Modell bspw. Auf 100.000 Euro pro Haftplatz gegenüber 250.000 Euro in einer noch durch das Land fertiggestellten JVA.
In Mecklenburg-Vorpommern wurden bspw. die JVA Waldeck und die JVA Neustrelitz durch private Investor*innen errichtet und dann an das Land verpachtet. Seit 1994 werden im Abschiebeknast Büren in NRW neben 68 Vollzugsbediensteten 80 private Wachleute der Firma Kötter-Justiz GmbH eingesetzt.
Mit Billigarbeitskräften werden die JVA’s betrieben. Mitarbeiter*innen der Fima Serco sind so bspw. für das Austeilen des Essens zuständig, sitzen hinter den Monitoren der Videoüberwachung, reinigen das Gebäude oder bringen Gefangene von den Werkstätten zurück in die Zellen.

3. Gesetzliche Regelungen:

Das Grundgesetz hält bei gerichtlich angeordnetem Freiheitsentzug „Zwangsarbeit“ für zulässig. So können alle Insass*innen, so weit sie körperlich dazu in der Lage sind, zur Gefängnisarbeit gezwungen werden. Wenn sich trotz allem Einzelne weigern, dem Arbeitszwang nachzukommen, können die Haftanstalten sie mit Repressalien konfrontieren: Disziplinarmaßnahmen (wie bspw. Isolierungshaft) und Auferlegung der Haftkosten.
Da die Inhaftierten formaljuristisch keine Arbeiter*innen oder „Arbeitnehmer*innen“ sind, dürfen sie auch nicht streiken (ein „wilder Streik“ könnte sogar als Gefangenenmeuterei strafbar sein), die Möglichkeit der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist fraglich.
Zur Streitfrage der Aufgabenübertragung auf private Sicherheitskräfte in Justizvollzugsanstalten ist klar geregelt, dass in die Grundrechte der Bürger*innen, also auch in die Grundrechte von Gefangenen, nur Staatsbedienstete eingreifen dürfen. Teilweise über viele Jahre müssen die Insass*innen zu Niedriglöhnen ihre Arbeitskraft verkaufen und das, ohne dass Gelder in die persönliche Rentenkasse einfließen (mit ein Grund, weshalb die Arbeitskraft so billig vermarktet werden kann).

4. Private Unternehmen

Deutschlands Gefängnisse erweisen sich immer mehr als alternative Herstellungsorte für das verarbeitende Gewerbe. In Bayern haben Unternehmen beispielsweise die Möglichkeit, an 37 Standorten auf insgesamt 90.000 Quadratmeter Produktionsfläche zurückgreifen. Bayerns Strafanstalten haben pro Jahr mit solchen Geschäften bereits rund 45 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Dies wirkt natürlich sehr attraktiv für Investor*innen, welche mit teilweise eigenen Geschäftsideen hier ein gut fluktuierendes Geschäft wittern.

So hier nun einige Beispiele, wie die Arbeitskraft der Gefangenen zur Kapitalakkumulation von Privatfirmen genutzt wird:

4.1 Häftling

Die Marke „Häftling“ wurde 2003 durch die Werbeagentur „Herr Ledesi“ im Auftrag der JVA Tegel entwickelt. Diese suchte nach besseren Vermarktungsmöglichkeiten für die von Häftlingen produzierten Güter. Die von „Herr Ledesi“ kreierte Marke „Häftling – Jailware since 1806“ schlug ein wie eine Bombe und heimste 2003 den „Corporate-Design-Preis“ ein. Nach kurzer Zeit musste der Onlineshop geschlossen werden, weil der Server mit den weltweiten Anfragen nach Knastprodukten überfordert war. Die Modebranche war entzückt angesichts dieser „deutschen Erfolgsgeschichte“.
Wer sich mit den Mitarbeiter*innen in einer der Filialen unterhält, bekommt den Eindruck, es gehe bei dem ganzen Projekt sowieso in erster Linie nur darum, eine bessere Welt zu schaffen. Man beteuert, nicht nur Geld verdienen zu wollen. Es gehe auch um das Wohl der Gefangenen.
Nicht bedacht zu haben scheint man, dass „Häftling“ ein Vorreiter im Prozess der marktwirtschaftlichen Umstrukturierung deutscher Knäste ist. Die deutsche Upperclass als umworbenes Kundensegment soll die von den Inhaftierten – in der Regel Angehörige der Unterschicht – produzierten Güter für teures Geld erwerben, gutes Gewissen inklusive. Und vor lauter gutem Gewissen kommen die Herren und Frauen Ledesi womöglich gar nicht auf die Idee, dass sie mit einem reichlich zynischen Geschäft ihre Karrieren vorantreiben. Über die Zustände in deutschen Knästen, Überbelegung, Zwangsarbeit und Isolationshaft will man nichts wissen.




4.2 Santa Fu

Das Gefängnis als coole Location. „Santa Fu – Heiße Ware aus dem Knast“ kommt aus dem Hamburger Gefängnis Fuhlsbüttel und ist seit knapp einem Jahr online. „Das Besondere ist die Authentizität“, sagt Sprecherin Kathrin Sachse. Es gibt zum Beispiel die „Original-Knast-CD“ mit Geräuschen aus dem Gefängnis: „Das hallende Sprachgewirr auf den Fluren, die scheppernden Durchsagen durch den Lautsprecher, das ständig wiederkehrende Klappern von Schlüsseln und Einrasten von Gittertüren und dazwischen das rhythmische Ächzen aus dem Kraftraum“ – Lärm, der bei ehemaligen Häftlingen vermutlich starke Beklemmungen auslösen würde, als Partygag. Des Weiteren gibt es von den Häftlingen bedruckte T-Shirts mit angeblich lässig, authentisch, komischen Aufdrucken wie: „Schuldig“, „Auf Bewährung“, „Lebenslänglich“ und „Ich will hier raus!“. Was die Insass*innen für Gefühle bei dieser Arbeit haben müssen, wenn ihre innersten Wünsche, auf T-Shirts gedruckt, als Mode-Schick zum Verkaufsknüller dargeboten werden, möchte wohl dann doch niemand wissen. Stattdessen steht der kleine Alltagskick im Vordergrund für diese neue Hippster-Mittelklasse, welche durch solch „einzigartige“ Ware ihr schon fast zwanghaftes Verlangen nach Individualität zu befriedigen versucht.

4.3 MTU

In dem zweitgrößten Gefängnis Bayerns, in Straubing, arbeiten rund 100 Insass*innen der Justizvollzugsanstalt für den Triebwerkshersteller MTU. Die Auftraggeber schätzten den Mix aus Niedriglöhnen und hoher Qualität. Oft sei die Qualität der Produkte besser als im Billiglohn-Ausland, was Unternehmen dazu veranlasse, Fertigung aus dem Ausland wieder zurück nach Deutschland zu holen. Die im 19. Jahrhundert erbaute Justizvollzugsanstalt Straubing (Bayern) verpflichtet schon seit langer Zeit Teile der Insassenschaft, für die Firma MTU zu arbeiten. MTU ist aktiv an der Rüstungsproduktion beteiligt und liefert Triebwerke für – wie es wörtlich heißt – „Luftfahrtgeräte der Bundeswehr“, insbesondere auch den Eurofighter. Der Betrieb von MTU in der Haftanstalt ist ganz offiziell als „Luftfahrtbetrieb für Luftgeräte der Bundeswehr“ zugelassen. Durch ihre erzwungene Mitarbeit sind also auch Gefangene eingebunden in kriegerische Konflikte.

5. Fazit

Während der aktuellen Umstellung der Sozialstandards der Bevölkerung kommt es auch in den Knästen zu einer Umstrukturierung, in welcher die Knäste als Einfassung und Überlaufbecken des Arbeitsmarktes herhalten sollen. Es wird versucht, jeglichen Widerstand innerhalb der lohnabhängigen Klassen zu brechen, um sie dann in unsichere und unterbezahlte Ausbeutungsverhältnisse zu pressen. Weiterhin nonkonformistische Teile der Bevölkerung werden von der restlichen Gesellschaft ausselektiert und von ihr isoliert, um sie dem allgemeinem Verwertungssystem wieder mit Zwang zu unterwerfen. So werden die Strafgefangenen zeitweise oder lebenslänglich hinter Gittern gelagert und dort mit Hilfe von Zwangsarbeit ausgebeutet und diszipliniert. Somit fügt sich die Ausweitung der Zwangsarbeit in den Haftanstalten gesamtwirtschaftlich perfekt in das kapitalistische Ausbeutungssystem ein und stellt in ihm eine sehr profitable Form der Ausbeutung dar.
Das Knastsystem trägt zu einer Zurichtung der unteren proletarischen Schichten bei Gefangene werden in der Regel als „Sozialfälle“ aus dem Gefängnis entlassen, oft hoch verschuldet und ohne soziale Perspektive. So wird Resozialisierung systematisch verhindert. Durch ihren negativen Status als ehemalige Strafgefangene werden fast nur noch miese, unterbezahlte Jobs gefunden. Damit beschleunigt die Masseninhaftierung auch noch die Ausweitung prekarisierter Arbeitsplätze.
Und zu guter Letzt ist die Gefängnisindustrie auch noch ein Mittel, um die statistischen Zahlen der Arbeitslosenquote künstlich zu senken, weil ein anwachsendes Heer von Strafgefangenen nicht mehr als „Arbeitssuchende“ in der Statistik erscheint.

von Daniel Gun
aus  Gai Dào, N°23 - November 2012

http://fda-ifa.org/%E6%94%B9%E9%81%93-g%C7%8Ei-dao-nr-23-november-2012/
kopiert für straflos 8, November 2012

Quellen dieser Arbeit:
• Direkte Aktion, www.direkteaktion.org
• Deutschlandfunk, www.dradio.de
• Jungle World, jungle-worl.com
• ABC Berlin, www.abc-berlin.net
• Express
• TAZ, www.taz.de
• Wildcat, www.wildcat-www.de
• chefduzen.de

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